Ich, das Andere, das Klima und die Nachtigall
O Quilombismo – Von Widerstand und Beharren. Von Flucht als Angriff. Von alternativen demokratisch-egalitären politischen Philosophien, HKW – Haus der Kulturen der Welt, Berlin, –
Ich bin in einer Diskussion im Anschluss an ein Screening ("Quilombo Continuum" mit Regisseurin Zica Pires und Carol Barreto und zwei Moderatoren). Es ist Sonntag Mittag, am 4.6. An der Pressekonferenz am Donnerstag konnte ich noch teilnehmen. Dann war ich leider zwei Tage verreist. Auf der Pressekonferenz war die Stimmung eher verhalten. Wir bekamen eine Führung durch das ganze Haus. Eine Kuratorin und ein Kurator berichten uns in langen Vorträgen vom traditionellen Gedankengut hinter den Arbeiten. Und ich war ratlos: Wie ist die ausgestellte Kunst à la "Back to the roots" mit Perlen, Federn, Ritualen gemeint? Denkt der neue Intendant Bonaventure Soh Bejeng Ndikung, dass es das ist, was die in Berlin sehen wollen? Ist es der Versuch, etwas nachzuholen und eine alternative Kunstgeschichte zu schreiben, die natürlich am Anfang beginnen muss, quasi beim "Mittelalter". Ohne aktuelle Krisen, heutige technische Errungenschaften, alltägliches Leben im 21. Jahrhundert. Ist es das, was sich die ausstellenden Künstlerinnen und Künstler wünschen? Oder folgt es der Idee der Kuratorinnen und Kuratoren? Der Idee des Intendanten?
Den Arbeiten von Maria Magdalena Campos-Pons bin ich schon auf der documenta 2017 begegnet. Damals zeigte sie eine Installation aus Pflanzen, natürlichen Materialien und künstlich hergestellten, die sich zu einem Ambiente verbanden. Heute zeigt sie auf Fahnen die Götter der Yorubas, die Orishas nach der afro-kubanischen Religion ihrer Heimat und Vorfahren. In der Performance "When we gather" (2022) rief sie am Freitag, 2.6., Orishas und andere gute Energien herbei, "gemeinsam mit Baba Murah, Vertreter*innen des örtlichen Cadomblé-Hauses, des afro-brasilianischen Kulturforums, und Rasiel Almanza Cairo, einem kubanischen Santeria-Priester und Bata-Trommler" (zitiert aus dem Katalog).
Mich begeistert der Bilderfries von Tanka Fonta im Foyer. In abstrakten Zeichen, die mich an das Bauhaus oder mehr noch an das Design der 1950er Jahre erinnern, erzählt er eine Art Geschichte der Welt – die Zeichen mutieren am Ende oder Anfang zu kosmischen Ereignissen und sind mit Musik verbunden. Mich persönlich spricht die halbabstrakte Bildersprache an, das Konzept – so etwas umfassend Gedachtes mag ich immer sehr gern. Nicht, dass ich nicht auch folkloristische Arbeiten mag oder traditionelle oder rituelle. In dieser Ausstellung finde ich aber zunächst keinen Zugang. Nach dem Presserundgang bin ich ratlos und kritisch. Was mir aber viele Tage danach in der Rückschau bleibt: Das Gefühl, woanders gewesen zu sein, ein Event. Ich bedanke mich dafür! Es war für mich irgendwie besonders. Wenn auch eine Skepsis bei mir bleibt. Ich fahre nach dem Presserundgang mit dem Fahrrad weg und muss stoppen, weil eine Kutsche, gezogen von zwei Kühen, auf der Straße mühsam wendet – Kutsche und Kühe sind Teil einer Performance, erfahre ich später. Durch die Ausstellung tauche ich ja auch nur scheinbar in eine andere Welt. Die Künstlerinnen und Künstler der Ausstellung scheinen ganz andere Menschen zu sein, die ganz anders leben. Aber mit Maria Magdalena Campos-Pons habe ich immerhin schon mal gesprochen. Dabei schien sie mir nicht fremd, nicht "anders". Es war sehr nett. Und wo lebt Tanka Fonta, von dessen Bilderfries ich Fan bin? In Berlin.
Bei der Diskussion nach dem Screening ist es sehr voll. Ich stehe fast neben der Bühne, weil alle anderen Plätze besetzt sind und sehe begeisterte, interessierte Gesichter. Viele Leute. Viele junge Leute. Dann höre ich, dass sich das HKW wieder geöffnet habe hin zu den Vögeln, dem Draußen, der Natur. Das höre ich in einem Setting, das selbst von der Natur nicht weiter entfernt sein könnte als es ist, in einem Vortragssaal wie ein Bunker. Zum Bunker bin ich durch einen langen dunklen Gang recht mühselig gelangt, wäre beinahe umgekehrt, weil ich dachte, dass ich falsch sein muss und das Event schon vorbei, so menschenleer und dunkel war es, bis ich endlich im Saal ankam. Diesen Satz mit der Öffnung habe ich bereits öfters gehört, und tatsächlich wurde der große Ausstellungsraum zur Terrasse hin geöffnet und hat jetzt eine Glaswand. Hier wirkt der gerade mal unpassende Satz auf mich wie eine Beschwörung und startet ein Aha-Erlebnis: Wünscht sich das Kunstpublikum jetzt eine Rettung durch die "Anderen", die Minderheiten, durch andere Kulturen und Religionen, nachdem die Mainstreamkultur den Karren "Rettung der Erde" gegen die Wand gefahren hat? (Hoffentlich ist der Karren noch nicht festgefahren!) Rettung der Erde durch den "Wilden"? Das klingt krass. Rettung der Erde durch alternative Sichten, durch neue Blickwinkel, das klingt schon annehmbarer. Aber der Bogen zu den vielen aktuellen Krisen wird in der Ausstellung nicht geschlagen. Vielleicht wäre das auch eine Überforderung. Aber es wäre gefährlich, wenn wir nicht weiter versuchen wollten, die Klimakrise anzumildern und dafür Lösungen finden. Denn dafür bleibt uns nur noch das jetzt und heute. Sonst ist es zu spät.
Ich gehe durch die Ausstellung, versuche dann mühevoll aber letztlich erfolgreich noch einmal mit Fahrrad in den Garten- und Terrassenbereich hinter dem HKW zu gelangen, und gehe schließlich wieder Richtung Straße durch einen schattigen Weg mit sehr hohen Bäumen. Da höre ich eine Nachtigall. Jedenfalls finde ich, dass sie sich genau wie die Nachtigall im polnischen Warthegebiet anhört, die damals allerdings ordnungsgemäß am späten Abend in der Dämmerung sang. Berlin ist für seine Nachtigallen bekannt. Ob die aber auch tagsüber rufen? Wie auch immer, es ist sehr laut, durchdringend, besonders.
Ausstellungswebseite
Kirsten Kötter,